Offener Brief an den Bundesvorstand
03.07.2023
Liebe Kolleginnen und Kollegen,Wir sind erleichtert darüber, dass die Tarifkommission dem Bundesvorstand mit großer Mehrheit empfohlen hat, die Tarifverhandlungen für gescheitert zu erklären, der Bundesvorstand sich dieser Einschätzung einstimmig angeschlossen hat und nun die Urabstimmung einleitet. Allerdings sind wir überrascht über das jetzt zustande gekommene Schlichtungsverfahren. Mit unserem Schreiben möchten wir euch unsere solidarische Kritik zum Vorgehen mitteilen. Für uns als EVG-Betriebsgruppe Frankfurt der DB Systel GmbH ist das Angebot der DB AG weiterhin nicht annehmbar, wir schließen uns den Worten unseres Vorsitzenden Martin Burkert an: „Das ist zu wenig und zu spät.“ Vor allem die Laufzeit und die tabellarisch erst sehr spät wirksame Lohnerhöhung können und wollen wir so nicht hinnehmen. Für uns bedeutet dieses Angebot weiterhin einen deutlichen Reallohnverlust. Zu unserem großen Bedauern ist der Inflationsausgleich in Form der Einmalzahlung nun doch enthalten. Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass nur der Konzern von der Einmalzahlung profitiert, da weder Sozialabgaben noch Steuern fällig werden. Der Effekt der Einmalzahlung wird kurzfristig verpuffen.Zu unserem Erstaunen erwähnte Martin einen Tag nach der Erklärung des Scheiterns der Tarifverhandlungen in der Presse, dass wir uns einer Schlichtung „nicht verwehren“ würden. Unser Stand aus dem Bundesvorstand war, dass wir die Schlichtung nicht anbieten und die Urabstimmung ohne weiteres Geplänkel – abgesehen von Warnstreiks – durchführen. Die Sprachregelung war, dass wir -sofern der Arbeitgeber eine Schlichtung vorschlägt- dieses prüfen. Am Donnerstag beschloss der Bundesvorstand jedoch mehrheitlich die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. Dieses Vorgehen verstärkt die bei uns negativen Eindrücke, die wir bei dem Verlauf der Tarifverhandlungen leider gewonnen haben.Unsere Verhandlungsführer:innen hatten und haben offenbar in erster Linie im Sinn, einen Streik zu verhindern und nicht etwa für uns ein optimales Ergebnis zu erreichen. Dabei ist es für uns auch nach wie vor schwer nachvollziehbar, warum wir nicht schon direkt nach der dreisten Abreise der DB AG aus Fulda Ende April einen Warnstreik oder gar eine Urabstimmung in Angriff genommen haben. Der gerichtliche Vergleich kann dafür schwer herhalten. Wir wollten keine „Tarif-Folklore“. Jetzt warten wir schon seit Monaten und haben bisher kaum gestreikt. Die ständige Behauptung von Kristian, dass Streiks kein besseres Ergebnis zeitigen würden, zeugt nicht von gewerkschaftlichem Selbstbewusstsein und ist durch nichts zu belegen. Gegen die Meinung der Tarifkommission zu opponieren, ist kein guter Stil. Ein weiterer gemeinsamer Streik ist bis auf den einen Aktionstag mit ver:di, bei dem wir mehr Druck hätten aufbauen können, nicht erfolgt. In dasselbe Horn wurde in der Tarifkommission geblasen, als es hieß, wir müssen auf die strapazierte Streikkasse achten. Der letzte Streik, bei dem Streikunterstützung gewährt wurde, ist 31 Jahre her. Bei welchem anderen Streik wurde die Streikkasse denn geleert?Nicht akzeptabel ist es für uns auch, hier das Heft ohne Not aus der Hand zu geben. Dass EVG-intern jetzt propagiert wird „Schlichtung + Urabstimmung – das ist direkte Mitgliederbeteiligung“ empfinden wir als zynisch und als Verdrehung der Tatsachen, denn das Votum der zentralen Tarifkommission war eindeutig. Nun hat es der Arbeitgeber wieder in der Hand, die Schlichtung zeitlich so weit hinauszuzögern, dass wir Gefahr laufen, unsere wichtigen Anliegen mit denen einer anderen Gewerkschaft vermengen zu lassen. Welche konkreten Schritte sind denn seit dem Beschluss, die Urabstimmung einzuleiten, unternommen worden? Wir fühlen uns an der Nase herumgeführt, wieder verstrich wertvolle Zeit!Besonders ärgerlich ist es, wenn man am Dienstag, 20. Juni, an dem nachmittags die ZTK das letzte Arbeitgeberangebot bewerten soll, morgens in der Zeitung liest, dass bei transdev ein Tarifabschluss erzielt werden konnte, der interessanterweise seitens der EVG-Offiziellen als “Durchbruch” gefeiert wurde. Wir sind in dieser Tarifrunde angetreten, solidarisch mit Kolleginnen und Kollegen der gesamten Branche mit über 50 Bahn- und Busunternehmen zu einem gemeinsamen Abschluss zu kommen. Diese Aktion wurde vollkommen unnötig zu einem Zeitpunkt in die Öffentlichkeit lanciert, der taktisch kaum schlechter für uns hätte gewählt sein können.Wir sind angetreten in dieser Tarifrunde, einen gemeinsamen Tarifabschluss zu erzielen – nicht zuletzt auch auf ausdrücklichen Wunsch der Kolleg:innen aus dem NE-Bereich. Warum fallen uns dann sowohl transdev-Tarifkommission als auch der EVG-Bundesvorstand dermaßen in den Rücken? Wie weit ist es denn dann noch her mit der Solidarität, die wir uns im Februar beim Beschließen der Forderungen noch geschworen haben?Dies lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass unsere Verhandlungsführer:innen einen Abschluss um jeden Preis bei der DB AG haben wollen.Falls unsere Verhandlungsführer:innen nicht bereit sein sollten, mit uns gemeinsam die Auseinandersetzung gegen den AG konfrontativer zu führen – mit allen Mitteln, die uns dazu zur Verfügung stehen –, sollten wir in letzter Konsequenz über eine alternative Mandatierung diskutieren. Andernfalls sehen wir uns nicht mehr angemessen in der Tarifauseinandersetzung vertreten.Wir konnten im ersten halben Jahr als EVG bereits einen Zuwachs von 6.500 neuen Mitgliedern verzeichnen – 2.500 mehr als im vergangenen Jahr. Dieser Zuwachs hat seinen Ursprung in den vernünftigen Forderungen und einem konsequenten Eintreten für eben diese, ferner in der Blockadehaltung des Arbeitgebers, auf unsere Forderungen einzugehen und diese ernst zu nehmen. Inwiefern wir diese Neumitglieder dauerhaft werden halten können, wird maßgeblich vom Ergebnis dieses Tarifabschlusses abhängig sein.
Mit kollegialen Grüßen
Ricarda Schilling
Erol Polat von Meding
Betriebsgruppenvorsitz