„Amazon“ und „Gorillas“ klingt irgendwie nach Tropen, da könnte fast Urlaubsfeeling aufkommen. Aber für die Beschäftigten bedeutet dieser Dschungel eher einen täglichen Kampf ums Überleben.
„Schneller als du“, so wirbt der Lieferdienst Gorillas, der verspricht, Supermarkteinkäufe für eine Gebühr von 1,80 € innerhalb von 10 Minuten zu liefern. Dank dem Einsatz von Fahrradkurier:innen – in der Branche „Riders“ genannt –, die unter hohem Zeitdruck die kiloschweren Bestellungen in Rücksäcken auf dem Rücken transportieren.
Schnell ist Gorillas auch mit dem Feuern von Beschäftigten. Und die fristlose Entlassung eines von ihnen, Santiago, hat am 9. Juni das Fass zum Überlaufen gebracht. Gegen diese Entlassung kämpft seither ein Teil der Belegschaft mit Streikaktionen und Blockaden von Warenlagern. Die Entlassung von einem Tag auf den andern und ohne Angabe von Gründen ist legal, denn Santiago war – wie sehr viele Kolleg:innen – noch in der 6-monatigen Probezeit. Gorillas setzt auf einen ständigen Wechsel der Belegschaft und damit maximale Unsicherheit der Beschäftigung. Dazu werden auch gerne Menschen ohne deutschen Pass eingestellt, die nur über eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung verfügen und nach deren Ablauf wieder vor die Tür gesetzt werden.
Bis vor wenigen Jahren setzte die Branche auf Scheinselbständigkeit: Die Riders von Deliveroo oder Foodora waren offiziell selbständig, die Firmen stellten nur die „Plattform“ in Form einer App zur Verfügung, auf der die Riders und die Kund:innen in Kontakt kamen. Den dicken Gewinn machten die Plattformen, aber sie hatten keinerlei Verpflichtungen.
Hartnäckige Arbeitskämpfe und Gerichtsverfahren haben dazu geführt, dass mittlerweile in Deutschland Fahrradkurier:innen als abhängig Beschäftigte gelten, Deliveroo und Foodora haben sich aus dem deutschen Markt zurückgezogen. Doch die Arbeitsplatzunsicherheit bleibt erhalten, mit vielen Tricks der Unternehmen, wie das Beispiel Gorillas vor Augen führt.
Bei solchen Arbeitsbedingungen wird man zum Tier
Die Arbeit ist nicht nur extrem prekär, sondern auch gesundheitsgefährdend. Die Lieferungen, häufig schwere und harte Glasflaschen (Bier und andere Getränke), stoßen bei jeder Bodenwelle und besonders bei Kopfsteinpflaster gegen die Wirbelsäule und verursachen dort kleinste Verletzungen. Über die Zeit führt das zu starken Rückenschmerzen, worunter viele Kolleg:innen leiden, die den Job länger machen. Aber Gorillas verbietet es, die Rucksäcke im Fahrradkorb zu transportieren. Warum? Offiziell aus fadenscheinigen Gründen der Verkehrssicherheit, doch die Riders sind sicher, es geht um etwas anderes: Bier, Sekt und Erfrischungsgetränke (Werbespruch: „Mutter, der Mann mit den Cokes ist da.“) sollen möglichst wenig durchgeschüttelt bei den Kund:innen ankommen! Die Rücken der Kurier:innen dienen als billige Stoßdämpfer, während stoßgedämpfte Fahrräder Gorillas zu teuer sind. Schon vor dem aktuellen Streik gab es viel Unzufriedenheit und gegen den Widerstand des Unternehmens soll aktuell ein Betriebsrat gegründet werden.
Wovon die Bosse träumen …
Von Investor:innen hingegen wird Gorillas als „unicorn“ (Einhorn) gefeiert, weil das Startup, das erst im Juni 2020 mit ersten Auslieferungen begann, im März diesen Jahres schon 245 Millionen Euro Kapital von den Finanzmärkten eingesammelt hat und einen Marktwert von über einer Milliarde Dollar erreichte!
Gorillas ist dabei nur ein Beispiel unter vielen … Alles, was mit online-Handel und Lieferungen zu tun hat, boomt seit Jahren, noch einmal beschleunigt durch die Corona-Pandemie. Nicht umsonst ist Jeff Bezos, der Chef von Amazon, offiziell der reichste Mann der Welt. Die Lieferdienstbranche führt dabei vor, wovon alle Unternehmen träumen: Maximaler Arbeitsdruck durch automatisierte digitale Überwachung mithilfe der Apps bei minimaler Rechtssicherheit.
… das verdient Gegenwehr!
Doch der Widerstand dagegen formiert sich, auch international. In vielen Ländern, in denen immer noch Scheinselbständigkeit die „Plattform“-Wirtschaft dominiert, gibt es Streiks und Kämpfe, in Spanien und Italien wurden Erfolge errungen. Und bei Amazon gab es erst diese Woche wieder Streiks in den Großlagern. Viele andere Arbeitende können sich mit den Problemen der Gorillas identifizieren. Es wird überall immer deutlicher, dass wir nur durch Streiks unsere Arbeitsbedingungen verbessern können, ob im Krankenhaus, bei der Bahn oder in der Privatwirtschaft!