Irgendwo zwischen Russland, China und der Türkei liegt das große Land Kasachstan. Dort explodierte vor zehn Tagen die Wut der Bevölkerung, aus der innerhalb einer Woche breiter Protest wurde. Am Anfang ging es um den Autogaspreis, der sich am 1. Januar an der Tankstelle verdoppelt hat. Die Bewegung hat dann das ganze Land erfasst.
Das ölreiche, bei ausländischen Investoren beliebte Kasachstan ist ein sogenanntes „präsidiales“ Regime, das seit 1990 nur zwei Präsidenten hatte: Nursultan Nasarbajew und seit 2019 Kassym-Jomart Tokajew. Menschenrechte und Gewerkschaftsrechte sind nicht so deren Ding.
Das Flüssiggas (LNG) ist der wichtigste Treibstoff im Land. Zum Jahreswechsel hatte die Regierung die Höchstpreisgrenze aufgehoben, worauf die Preise in die Höhe schossen. Am 2. Januar fing die Bewegung im Westen des Landes an. Nach vier Tagen Unruhe versuchten die Behörden die Lage zu beruhigen, indem sie eine Preissenkung von 120 Tenge pro Liter auf 50 Tenge (0,10 Euro) ankündigten. Doch die Massenproteste breiteten sich im ganzen Land aus, denn es geht um mehr: um die Korruption, den unverschämten Reichtum der kleinen herrschenden Cliquen, hohe Preise, niedrige Löhne und Armut…
Die Proteste erreichten die Wirtschaftsmetropole Almaty, wo Demonstranten das wichtigste Regierungsgebäude und den Flughafen stürmten und sich der Polizei widersetzten. Arbeiter:innen konnten für kurze Zeit die Produktion auf dem Ölfeld Tengiz stören.
Als Reaktion löste der Präsident und Diktator Tokajew die alte Regierung auf und verhängte den Ausnahmezustand. Die protestierenden Arbeiter:innen wurden zu „Terroristen“ erklärt, die vom Ausland gesteuert seien. Das übliche Vokabular wütender Diktatoren, an deren Thron gerüttelt wird. Mit der Blockade des Internets versucht die Regierung, die Massenproteste geheim zu halten und die Gewalt der Polizei und Armee zu verstecken. Die Regierung erließ schließlich einen Schießbefehl. Laut Regierung wurden über 10.000 Menschen verhaftet, Tausende verletzt, 163 getötet. Wahrscheinlich ist es schlimmer. Angesichts der Entschlossenheit der Bevölkerung bleibt der Regierung nur die bloße Gewalt.
Im Windschatten der Diktatur das große Geld
Russland schickte auf Bitten des kasachischen Diktators dann 2.000 Soldaten. Was soll so „gesichert“ werden? Der Frieden sicher nicht.
Kasachstan liegt auf der so genannten „Neuen Seidenstraße“, mit der China seine Handelswege nach Europa ausbauen will. Es geht um wirtschaftliche Interessen nicht nur von China, sonder auch von Russland und nicht zuletzt von Europa: ein Drittel der kasachischen Exporte geht in die EU, vorwiegend Rohstoffe wie Rohöl und Mineralien. Seit den Privatisierungen in den 90er Jahren ist das Land ein Eldorado für westliche Investor:innen. Exxon-Mobile, Chevron und Total stehen an erster Stelle, aber da sind auch die Geschäfte deutscher Konzerne wie Siemens Energy (deren Gasturbinen sind für die Ausbeutung der Erdgasfelder weltweit der Renner) oder Heidelberg-Cement. Sie alle kassieren ordentlich ab, während die diktatorische Elite Kasachstans die Arbeiterklasse knebelt.
Merkel empfing den Autokraten Tokajew im März 2019 herzlich in Berlin und hob die wirtschaftlichen Beziehungen hervor. Man kann also verstehen, warum die Kritik der deutschen Regierung so maßvoll dosiert ist. Im Namen der Demokratie ein paar Appelle, OK. Nur nicht zu harte Worte gegenüber der kasachischen Regierung, und auch gegenüber Russland wird jedes Wort diplomatisch danach abgewogen, was den deutschen Wirtschaftsinteressen am meisten nutzt. Die deutsche Regierung hat schließlich doch verkündet, dass nach Kasachstan keine Waffen mehr geliefert würden … vorerst. Aber wie viele Waffen hat Deutschland bereits geschickt?
Nach dem Sturm wird der Himmel wieder blau?
Unsere Solidarität gilt natürlich der kasachischen Bevölkerung. Selbst wenn die Situation sich in Kasachstan „beruhigt“ (noch ist die Situation längst nicht entschieden) – was für ein Frieden wäre das nach so krasser Repression!? Und wie wirkt der Mut der aufständischen Bevölkerung auf andere Länder? In Russland selbst oder in der Türkei gibt es angesichts der steigenden Preise bereits wachsende Unzufriedenheit. 2021 haben wir viele große, mutige und erfolgreiche Proteste weltweit gesehen. 2022 könnte ein kämpferisches Jahr werden.