April 27, 2024

Die Tragödie in Afghanistan

Nach dem Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan haben die Taliban innerhalb kürzester Zeit wieder das Land überrollt und die Macht übernommen. Alle Medien waren voll von den Bildern des Flughafens von Kabul, wo wochenlang verzweifelte Menschen versuchten, noch außer Landes zu fliehen, und das zum Teil mit dem Tod bezahlten.

Dabei hat die Bundeswehr eine schändliche Rolle gespielt. Mit bürokratischen Listen wurden Menschen in Todesangst zurückgewiesen und zum Teil flogen leere oder halbleere Flugzeuge zurück. Der Rückflug von 65.000 Dosen Bier und Hunderten Flaschen Wein aus Beständen der Bundeswehr wurde offenbar besser vorbereitet als die Rettung von sogenannten afghanischen „Ortskräften“, die in Lebensgefahr schweben, weil sie für westliche Behörden, Truppen oder NGOs gearbeitet haben.

Und die erste Sorge der Politiker:innen scheint zu sein, dass bloß nicht zu viele dieser „Ortskräfte“ nun nach Deutschland kommen. So meinte CDU-Kanzlerkandidat Laschet: „2015 darf sich nicht wiederholen“. Den Menschen in Afghanistan wurde Demokratisierung versprochen, viele wurden als Hilfskräfte der NATO-Truppen benutzt und nun einfach fallengelassen.

Doch während die öffentliche Kritik an der Regierung sich vor allem auf den Rückzug und die verplante Evakuierung bezieht, haben die Regierungen unter Merkel und die ihr vorausgehende rot-grüne Regierung eine viel größere Verantwortung auf sich geladen, indem sie überhaupt diesen „Afghanistan-Einsatz“ durchgeführt haben.

In Wahrheit war das ein Krieg, der fast 20 Jahre gedauert hat. Für die Bundeswehr war es der größte Auslandseinsatz ihrer Geschichte mit rund 160.000 beteiligten Soldat:innen. Die Todesopfer wurden nur auf Seiten der NATO-Armeen genau gezählt: rund 3.600 waren es in 20 Jahren. In der afghanischen Zivilbevölkerung dürfte die Zahl der Todesopfer hingegen bei weit über 100.000 liegen. Und während sonst bei öffentlichen Ausgaben angeblich immer gespart werden müsse, haben die deutschen Steuerzahler:innen zwischen 12 und 47 Mrd. Euro für diesen Krieg ausgegeben – so weit gehen die Schätzungen auseinander.

Wofür das Ganze?

Der jahrzehntelange Kriegseinsatz wurde mit Terrorbekämpfung und Menschenrechten gerechtfertigt. Doch diese Vorwände sind mehr als fadenscheinig. Diktatorische Regime, in denen die Menschen- und Frauenrechte genauso mit Füßen getreten werden, wie in Af­ghanistan unter den Taliban, waren die ganze Zeit verlässliche „Partner“ der NATO-Staaten: zum Beispiel Saudi-Arabien. Und vor Ort in Afghanistan haben die Westmächte mit Kriegsherren unterschiedlicher Cliquen zusammengearbeitet, die nicht besser sind als die Taliban.

Den westlichen Großmächten geht es bei ihrer kriegerischen Außenpolitik nicht um Demokratie sondern um „geopolitische“ Stabilität, um die Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten. Sie schützen den „freien Welthandel“, also die Freiheit für die Großkonzerne, die ganze Welt ungeniert auszubeuten.

So gab es auch durchaus handfeste Wirtschaftsinteressen für diesen Krieg. Die Taliban, die in den 1990er Jahren durch einen Bürgerkrieg an die Macht gekommen waren, behinderten ein Pipeline-Projekt für Erdgas, das seit Jahren in Planung war und durch Afghanistan führen soll. Unter der neuen von der NATO gestützten Regierung wird seit 2015 an dieser Pipeline gebaut, und sie könnte im Laufe der nächsten Jahre fertiggestellt werden. Vor dem jetzigen Truppenabzug wurde darüber auch mit den Taliban verhandelt.

Aber natürlich wurde ein solcher Kriegseinsatz nicht für eine einzelne Pipeline geführt. Es geht den Westmächten um wirtschaftliche und militärische Kontrolle ganzer Regionen. Während die USA die späteren Taliban in den 1980er Jahren selbst hochgerüstet hatten im Kampf gegen die Sowjetunion, so waren ihnen diese islamischen Fundamentalist:innen außer Kontrolle geraten. Die Kriegseinsätze in Afghanistan und später im Irak sollten in der gesamten ölreichen islamischen Welt ihren Einfluss sichern.

Die bittere Bilanz der Kriegspolitik

In Afghanistan können jetzt dieselben Taliban nach zwanzig Jahren Krieg wieder die Bevölkerung terrorisieren und wurden dabei innenpolitisch noch gestärkt durch ihren „erfolgreichen“ Widerstand gegen die US-geführte Besatzung. Auch der „internationale Terrorismus“ ist durch diesen Kriegseinsatz nicht geschwächt worden, sondern die Präsenz westlicher Truppen, die auch Menschenrechtsverletzungen durchgeführt oder geduldet haben, hat den Islamist:innen ideologisch Auftrieb gegeben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert